Der Franken zeigt plötzlich Schwäche

Die Mängel der Währungsunion sind zurzeit zweitrangig. Die Aussicht auf ein Ende der Coronakrise und die lockere Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) dürften den Franken dämpfen.

Der Schweizer Franken hat gegenüber dem Euro zuletzt nachgegeben. Dabei hat er die psychologisch wichtige Marke von CHF 1.10 je Euro überschritten. Für die jüngste Abschwächung sind mehrere Faktoren verantwortlich. Zunächst hat sich der Ausblick für die Weltkonjunktur verbessert. Die europäische Industrie profitiert von der robusten Nachfrage aus China, wo die Pandemie im letzten Jahr durch rigorose Massnahmen unter Kontrolle gebracht werden konnte. Die Wachstumserwartungen für das verarbeitende Gewerbe, vor allem für den deutschen Automobilsektor, sind trotz Schutzmassnahmen solide. Zwar verläuft die EU-Impfkampagne schleppend, aber die Impffortschritte bei den Handelspartnern USA und Grossbritannien dürften eine stärkere Nachfrage nach Gütern aus dem Euroraum nach sich ziehen. Zudem wird laut EU-Kommission in den nächsten Monaten mehr Impfstoff zur Verfügung stehen. Neben den Impfstoffen von BioNTech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca wurde Mitte März in der EU ein vierter Impfstoff, von Johnson & Johnson, zugelassen. Mit dem Serum von CureVac steht ein weiterer europäischer Impfstoff in Aussicht. Die EU-Impfprogramme können demnächst beschleunigt werden. Die Erwartungen von künftigen Impffortschritten überdecken zurzeit die durch steigende Infektionszahlen bedingte Eintrübung der Konjunktur. Die Anleger halten an den Hoffnungen auf ein Ende des Lockdowns in der Eurozone im Sommer fest.

Die von der Pandemie am stärksten betroffenen EU-Staaten werden in der zweiten Jahreshälfte 2021 erste Zahlungen aus dem 2020 beschlossenen Wiederaufbaufonds (NGEU) erhalten. Die zusätzlichen Staatsausgaben werden die Wirtschaftsbelebung insbesondere in der Peripherie der Eurozone fördern. Italien hat seit Mitte Februar eine neue Regierung unter der Führung des früheren Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi. Der neue Ministerpräsident verfügt über eine breite Mehrheit im Parlament. Draghi geniesst hohes Vertrauen an den Finanzmärkten. Ihm wird zugetraut, die in Italien lange verschleppten Strukturreformen in der Verwaltung sowie im Justiz- und Bildungswesen endlich in Angriff zu nehmen. Die strukturellen Mängel der Währungsunion treten im Moment in den Hintergrund. Dieser Umstand unterstützt zurzeit die Gemeinschaftswährung.

Ausserdem geriet die geldpolitische Strategie der SNB zuletzt in die Kritik. Drei führende Schweizer Ökonomen (SNB-Observatory) forderten in einem im Februar erschienenen Bericht einen Kurswechsel in der schweizerischen Geldpolitik. Sie plädieren für ein höheres Inflationsziel und eine explizite Wechselkursstrategie seitens SNB. Die Kritik sorgt bei den Anlegern für Aufmerksamkeit: Die SNB könnte – wie das Fed im vergangenen Jahr und die EZB im laufenden Jahr – eine Strategieüberprüfung vornehmen, bei der ein schwächerer Franken im Fokus stehen dürfte. Unserer Ansicht nach wird ein Strategiewechsel der SNB nicht so schnell kommen. Die SNB wird am bisherigen Kurs festhalten. Eine Abwertung des Schweizer Frankens kommt der SNB entgegen. Der Druck, geldpolitisch aktiv zu werden, nimmt für sie dadurch ab. Die Negativzinspolitik kann mit der allmählichen Überwindung der Pandemie dem Franken stärker zusetzen. Angesichts der grösseren Impffortschritte und der damit einhergehenden Aussichten auf einen ausgeprägten Konjunkturaufschwung und somit auf höhere Zinsen ausserhalb der Schweiz wird eine Anlage in Schweizer Franken an Attraktivität einbüssen. Nachdem der Franken die Schwelle von CHF 1.10 je Euro überschritten hat, ist für die nächsten Monate eine Konsolidierung im Bereich zwischen CHF 1.10 und CHF 1.13 das wahrscheinlichste Szenario.

Portrait Waldemar Lukas
Waldemar Lukas, Anlageklassen-Researcher Fixed Income, LLB Asset Management AG, Vaduz

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