Europäische Aktien im Einfluss der Geopolitik

Die europäischen Unternehmen legen für das abgeschlossene Geschäftsjahr 2021 sehr gute Ergebnisse vor, die Geopolitik hat sie jedoch eingeholt. Trotz der grossen Unsicherheit gibt es auch Gewinner.

Für die Börse ist der Februar ein wichtiger Monat, weil die Mehrheit der Firmen ihre Jahresergebnisse publiziert und ihren Ausblick aktualisiert. Bis zum 2. März haben rund zwei Drittel der europäischen Unternehmen ihre Jahresergebnisse vorgelegt. Gemäss Bloomberg konnten 50 Prozent beim Ertrag und 51 Prozent beim Gewinn angenehm überraschen. Insbesondere folgende Sektoren fielen positiv auf: Grundstoffe, Kommunikation, Finanzen, Versorger und Immobilien. Die europäischen Technologiewerte und Gesundheitsaktien hingegen vermochten die Erwartungen weder beim Ertrag noch beim Gewinn zu erfüllen.

Insgesamt verlief die Gewinnsaison besser als in den Vorjahren. Die europäischen Unternehmen konnten den Ertragskonsensus aggregiert um 3.1 Prozent schlagen, während ihre Gewinnentwicklung nur knapp (−0.2 %) unter den Erwartungen blieb. Vor allem grosse und mittlere Unternehmen überraschten positiv. Auch kleine Unternehmen erfüllten die Erwartungen, jedoch bei Weitem nicht so deutlich wie grössere. Bei den Investmentstilen hatten Value-Aktien dieses Mal die Nase klar vorn. Positiv stimmen auch die Umsatztrends 2021. Diese erfreuliche Entwicklung ist auf eine gesunde Nachfrage sowie selektiv auf eine Preisgestaltungsmacht zurückzuführen.

Europäische Aktien im Einfluss der Geopolitik

Die Geopolitik in Osteuropa löste eine heftige Kursreaktion aus, wobei an dieser Stelle einerseits die Sanktionen und andererseits die Energiepreise zu erwähnen sind. Die wirtschaftliche Verflechtung der Europäischen Union mit Russland ist geringer als vor der Annexion der Krimhalbinsel im Jahr 2014. Dennoch werden die Sanktionen die europäische Wirtschaft belasten. Die dadurch verursachten Wachstumseinbussen dürften in der EU 0.25 bis 0.5 Prozent betragen.

Insbesondere der Maschinenbau (2 % der EU-Exporte) und Chemikalien (1 % der EU-Exporte) sind davon betroffen. Im Finanzsektor weisen speziell Institute aus Österreich und aus Italien eine Exposure auf. In Osteuropa ist die Verflechtung mit Russland höher − diese Volkswirtschaften dürften daher stärker von den Sanktionen betroffen sein als westliche EU-Länder.

Die EU deckt 40 Prozent ihres Gas- und 20 Prozent ihres Ölbedarfs aus russischen Importen. Die Abhängigkeit von russischen Energieimporten ist die Achillesferse der EU. Sollte sich der Gaspreis verdoppeln und sich der Ölpreis um 50 Prozent erhöhen, würde sich das BIP-Wachstum um 2.5 bis 3.0 Prozentpunkte verringern und möglicherweise eine Rezession auslösen. Entscheidend ist die Frage, wie stark und wie lange die Energiepreise steigen. Auch Unterbrüche in der Energieversorgung darf es nicht geben.

In der heutigen Börsenlage gibt es aber nicht nur Verlierer. Interessant sind in der jetzigen Marktphase Anbieter von erneuerbarem Strom. Die Hersteller von Windkraftanlagen, wie Vestas Wind, Orsted und Siemens Gamesa, haben allesamt seit Herbst 2021 herbe Kursverluste hinnehmen müssen. Unter anderem, weil sie die höheren Inputkosten den Kunden nicht weitergeben konnten. In wenigen Tagen haben die Aktien dieser Unternehmen die Kursverluste teilweise kompensiert. Einerseits rechnen sich Windkraftanlagen bei hohen Energiepreisen besser, andererseits reduzieren sie die Energieabhängigkeit von gewissen Ländern. Gerade dieser letzte Aspekt gewinnt angesichts der angespannten geopolitischen Lage stark an Bedeutung. Ähnliche Kursverläufe sind bei anderen Anbietern von erneuerbaren Energien zu beobachten. Rückenwind erhalten diese Anbieter ohnehin vom IPCC-Bericht, der am 28. Februar publiziert wurde: Der Weltklimarat zeigt eindrücklich auf, dass die Energieversorgung zunehmend aus erneuerbaren Quellen erfolgen muss.

Portrait Javier Lodeiro
Javier Lodeiro, Fondsmanager, LLB Asset Management AG, Vaduz.

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