Zu Stadler Rail: "Wir denken, dass das Potenzial in den USA riesig ist"

LLB-Experte Christian Zogg rechnet mit einer starken Performance von Stadler. Weitere Themen: "Sin Stocks", Inflationsängste – und die Trends 2021.

Interview mit Christian Zogg, Stv. Geschäftsführer der LLB Asset Management AG

Erstmals erschienen auf der Website von HZ, dem Wirtschaftsportal von Handelszeitung und BILANZ, am 8. Januar 2021.

Von Marc Bürgi

Der IPO von Stadler im April 2019 war der wohl wichtigste Neuzugang an der Schweizer Börse in der jüngeren Zeit. Wie hat sich die Aktie des Zugbauers knapp eineinhalb Jahre nach dem Börsengang entwickelt – und mit was für einer Performance rechnen Sie heuer?

Die Aktie legte seit ihrem Börsendebut im April 2019 bis Mitte Februar 2020 fulminant zu und erreichte eine Performance in der Nähe von 30 Prozent.

Mit den Folgen der Pandemie auf den öffentlichen Verkehr und einigen hausgemachten Problemen (überraschender CEO-Wechsel) war die Performance über das gesamte Jahr 2020 mit –14  Prozent deutlich schlechter als der Gesamtmarkt (+3,8 Prozent).

Wir erwarten, dass die Nachfrage nach neuen Zügen wieder zunimmt. Stadler Rail ist der fünftgrösste Zughersteller in seinem Segment, in Europa sogar die Nummer drei hinter Bombardier und Alstom.

Besonders stark ist die Marktposition dabei bei Regionalzügen. In den USA ist Stadler aktuell noch sehr klein, hat aber in letzter Zeit einige interessante Aufträge gewonnen – zum Beispiel in Kalifornien (Caltrain) oder Atlanta.

Wir denken, dass das Potenzial in den USA riesig ist. Wir erwarten, dass die Aktie dieses Jahr einiges aufholen könnte. So wäre ein Plus von bis zu 15 Prozent keine Überraschung.

Wir erwarten, dass die Stadler-Aktie dieses Jahr einiges aufholen könnte. So wäre ein Plus von bis zu 15 Prozent keine Überraschung.

Aktien von Tabakkonzernen und andere sogenannte Sin Stocks - "sündhafte Aktien" - liefern laut verschiedenen Studien langfristig oft gute Renditen. Wie stehen Sie zu solchen Investments?

Das Thema "Sin stocks" wird vor allem in den USA gespielt. In Diskussionen mit Kunden stellt man fest, dass je nach geographischer Herkunft die Wahrnehmung solcher Anlagethemen deutlich variieren kann.

Nebst Tabak fallen auch Faust- und Handfeuerwaffenhersteller, Glückspielunternehmen oder private Gefängnisbetreiber und ähnliche Branchen in dieses Raster. In Skandinavien mag schon ein Bierhersteller in diese Kategorie fallen.

Als Unterzeichner der UNPRI schliesst die LLB "Sin stocks" aus ihren nachhaltigen Portfolios aus, weswegen wir sie unseren Kunden auch nicht empfehlen.

Der zunehmende Trend zu nachhaltigen Finanzanlagen führt dazu, dass diese Aktien von beaufsichtigten Investoren bereits jetzt schon systematisch gemieden werden. Das lastet auf der Bewertung und könnte zum (Fehl-)Schluss führen, dass die Performance in Zukunft deshalb überdurchschnittlich hoch sein müsste.

Wir erwarten eher, dass sich diese Firmen mittelfristig vom öffentlichen Kapitalmarkt zurückziehen und in Hände wie Private Equity wechseln.

Den Finanzwerten (Banken und Versicherungen) trauen wir 2021 eine klar positive Performance zu.

Das Börsenjahr 2021 hat begonnen. Welche drei Trends abseits der Pandemie werden das Anlagejahr prägen?

Gehen wir ein Jahr zurück und schauen, was uns vor Ausbruch der Pandemie beschäftigte. Hier kommen einem drei wesentliche Themenblöcke in den Sinn: Einmal ist da der Klimawandel, der weiter fortschreitet und industriell nachhaltiger Lösungen bedarf, um einerseits den weiter steigenden Energiebedarf CO2-neutral bereitzustellen und gleichzeitig das Wirtschaftswachstum nicht abzuwürgen.

Der zweite Themenblock ist die Globalisierung und der Welthandel in einer Situation, in der sich China und die USA als Kontrahenten gegenüberstehen und die EU noch kein sichtbares Konzept hat, wie sie darauf reagieren soll.

Das dritte Thema Staatsverschuldung hat mit den finanziellen Folgen der Pandemie markant an Brisanz zugelegt. Das "beherzte" Eingreifen der bedeutenden Notenbanken hat zu einer Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik geführt, die immer schwieriger zu beherrschen sein wird. 

Manche Ökonomen sagen eine langfristig stark steigende Inflation voraus. Teilen Sie diese Einschätzung – und wenn ja, zu welcher Strategie raten Sie Anlegerinnen, um sich dagegen zu wappnen?

Wie schon nach der Finanzkrise hat die massive Lockerung der Geld- und Fiskalpolitik im Zuge der Coronakrise bei einigen Anlegerinnen und Anlegern zu Inflationsängsten geführt.

Da es mit den in den vergangenen Jahren eingesetzten geldpolitischen Instrumenten (forward guidance, negative Nominalzinsen, Wertpapierkäufe) nicht gelungen ist, die Inflationsrate auf den Zielwert von 2 Prozent anzuheben, hat die amerikanische Notenbank ihre geldpolitische Strategie hin zu "mehr Flexibilität" geändert.

Die sich für die nächsten Jahre abzeichnende wirtschaftspolitische Konstellation deutet nun auf höhere Inflationsraten hin. Allerdings ist in diesem Zusammenhang noch unklar, ob die expansive Geld- und Fiskalpolitik die strukturellen Deflationskräfte (demographischer Wandel, Digitalisierung, Globalisierung) überkompensieren kann.

In Anbetracht der gegebenen Unsicherheiten hinsichtlich der künftigen Inflationsentwicklung und widersprüchlicher Marktsignale ist eine anlagepolitische Wette, die über unser Übergewicht bei inflationsgeschützten Anleihen hinausgeht, unseres Erachtens derzeit noch nicht gerechtfertigt.
Ein systematisches Monitoring der Inflationssignale an den Finanzmärkten und der Bedingungen für die künftige Entwicklung der Verbraucherpreise ist aber dringend zu empfehlen.

Kommen wir zum allgemeinen Börsengeschehen: Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte?

Die Pandemie bleibt auch zu Beginn des neuen Jahres ein dominierendes Thema. Einerseits wurden insbesondere in vielen europäischen Ländern die staatlichen Einschränkungen ("Lockdown") im Dezember noch einmal verschärft und, wie es augenblicklich aussieht, bis in den Februar hinein verlängert.

Auf der anderen Seite sind die Impfungen mit den verschiedenen zugelassenen Impfstoffen am Anlaufen. Die Kapitalmärkte spielen primär das Szenario, dass die Fortschritte bei der Immunisierung der Bevölkerung bis Mitte 2021 eine spürbare Normalisierung des Lebens und in der Folge eine markante wirtschaftliche Erholung mit sich bringen werden. Diese Einschätzung teilen wir grundsätzlich.

Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?

Die ersten Handelstage im Januar haben positiv begonnen. Seit letztem Juni bewegte sich der Schweizer Aktienmarkt in einer Seitwärtsbewegung zwischen 10'000 und 10'500 Punkten.

Die letzten Handelstage haben einen Ausbruchsversuch in Richtung 11'000 Punkte gebracht. Das Erreichen dieser Marke trauen wir dem Markt in den nächsten Wochen durchaus zu.

Wo steht der SMI in zwölf Monaten?

Die Performance des Schweizer Aktienmarktes wird stark durch Nestlé und die beiden Pharma-Schwergewichte beeinflusst. Die Kontrolle beider Parlamentskammern durch die Demokraten erhöht die Wahrscheinlichkeit für ein grösseres US-Fiskalpaket und damit ein noch stärkeres Wachstum der Wirtschaft. Den Finanzwerten (Banken und Versicherungen) trauen wir 2021 damit eine klar positive Performance zu. In einem Jahr sehen wir den SMI im Bereich von 11'250 bis 11'750 Punkten.

Das Interview wurde schriftlich geführt